„Du musst, du sollst, du kannst, du darfst, du willst“ – Modalverben bestimmen unsere Handlungen und weisen auf Freiwilligkeit oder Zwang hin. Aus der Psychologie wissen wir, dass Veränderungen beim Handeln nur mit einer Einstellungsveränderung in den Köpfen erzielt werden – wenn wir nicht von anderen zu einer Veränderung gezwungen werden. Und wer erreicht schon die Erkenntnis des Lyrikers Rilke freiwillig, der angeblich beim Betrachten des Torsos des Gottes der Dichtkunst Apollon so berührt war, dass er dichtete: „Du musst dein Leben ändern.“?
Also, wie wir unser Leben gestalten, hängt heutzutage in den Industrieländern meist von uns selbst ab – im Großen und Ganzen jedenfalls. Deshalb lohnt es sich, einen Blick darauf zu werfen, wie wir persönlich Nachhaltigkeit in unser Leben integrieren.
Einführung: Tausende Entscheidungen täglich
Die Wissenschaft geht davon aus, dass wir jeden Tag Tausende von Entscheidungen treffen. Die meisten davon unbewusst und in Bruchteilen von Sekunden. Vom Aufstehen bis zum Zubettgehen treffen wir Entscheidungen beim Essen zubereiten, im Straßenverkehr, beim Einkauf, am Arbeitsplatz usw. Unsere Entscheidungen sind eingebettet in ein Grundgerüst an gelernten Abläufen. Und obwohl wir es also gewohnt sind, Entscheidungen zu treffen, tun wir uns schwer, wenn wir dies bewusst tun sollen. Ich persönlich tue mich schon schwer damit, wenn ich im Restaurant gefragt werde, ob ich lieber einen Salat oder ein Dessert möchte, wenn ich das Mittagsmenü bestelle. Und es hängt zum Beispiel auch von der eigenen Persönlichkeit ab, ob ich immer an denselben Urlaubsort fahre oder mal etwas Neues ausprobiere. Risiko oder das Sichere wählen? Kaufen oder mieten? Und wie oft sagen wir hinterher den Spruch: „Ach, wenn ich mich doch damals anders entschieden hätte“, oft vergessend, dass wir „damals“ gar nicht alle die Informationen hatten, die wir jetzt haben. Es ist gut möglich, dass wir uns damals eben richtig entschieden hatten angesichts des Kenntnisstandes.
Die Wichtigkeit von Haltung und Einstellung
Und nun wird’s in der Tat persönlich: Wir wissen von der Soziologie und Psychologie, dass wir uns ein gewisses Verhalten aneignen und auch ändern können, wenn dies von den Umständen erzwungen wird. Darüber hinaus können wir dies auch freiwillig tun. Das ist aber wesentlich schwerer. Trainerinnen und Trainer im Sport wissen, dass sich Profis gewisse Abläufe antrainieren können, das heißt Entscheidungen werden automatisiert. Gesteuert werden viele unserer Entscheidungen über persönliche Interessen und Vorlieben, über die Suche nach der comfort zone im Alltag, etc. Unsere Haltung zu gewissen Umständen wird zwar überprüft, aber in der Regel fallen wir in das Raster des bereits Erfahrenen, Gekannten.
Nur ein Beispiel: In jeder Stadt fluchen die Leute morgens in der rush hour über den Autoverkehr. Dabei könnten viele von ihnen das Auto stehenlassen und zur nächsten Bushaltestelle gehen, um mit dem Bus zu fahren. Es gibt Untersuchungen für viele deutsche Großstädte, dass dann viele sogar schneller von A nach B kämen, unter anderem weil die Parkplatzsuche wegfällt oder es Busspuren gibt, wo der ÖPNV an den Staus vorbeigelenkt wird. Warum verändern wir dann nicht unser Verhalten? Hirnforscher sind sich einig, dass dies viel mit der “Macht der Gewohnheit” zu tun hat. In seinem Buch “Über den Menschen” ging der kürzlich verstorbene Hirnforscher Gerhard Roth diesem Phänomen nach. Aus der Gewohnheit auszubrechen falle fast allen Menschen schwer, schreibt er. Deutlich wird das daran, wie lange wir nach Argumenten und manchmal Ausreden suchen, wenn wir anderen etwas erklären müssen, warum wir dieses oder jenes gemacht haben. Grundsätzlich halten wir lieber an den gelernten Abläufen fest (sie bilden ja das Grundgerüst für unsere Entscheidungen) als uns der Mühe oder der Freude einer Änderung zu unterziehen.
Wie sollen wir da zu einer persönlichen Nachhaltigkeitsstrategie kommen, wo es doch in unserem Kopf von Argumenten dagegen wimmelt? „Bringt eh nichts, wenn nur ich das tue“, „nee, nur dieses eine Mal noch nehme ich den Flug statt den Zug“, „heute ist es zu nass zum Fahrradfahren, ich nehme lieber das Auto“, „heute ist es zu kalt, um zu Fuß zum Einkauf zu gehen, ich nehme lieber das Auto“ – wir alle kennen diese Sätze, die sich in unserem Kopf abspielen, und deshalb fallen uns Verhaltensänderungen schwer.
Aber grundsätzlich gehen wir von einem Menschenbild aus: Der Mensch an sich ist frei in seinen Entscheidungen. „Der Mensch ist frei geboren und überall liegt er in Ketten“, hat zwar Rousseau in seinem berühmten Traktat „contrat social“ geschrieben, aber er betont eben auch die Freiheit des Menschen, eigene Entscheidungen zu treffen.
Und da der Mensch nicht mehr überall in Ketten liegt, sind wir nun beim Wort Mindset. Die Diskussionen um dieses Wort sind vielfältig. Wir bei wirk4tomorrow diskutieren sehr viel darüber, wie wichtig das Mindset der Einzelnen in der Belegschaft in den Unternehmen dafür ist, dass eine Transformation gelingt. Wir verwenden das Wort in seiner ursprünglichen Bedeutung: Die „Denkweise“ eines Menschen. Also seine Einstellung, seine Mentalität, seine Weltanschauung. Daraus leiten sich dann Überzeugungen und Verhaltensmuster ab.
Wir sind also dazu aufgefordert, unsere Entscheidungsstrategien zu optimieren. Wenn ich Zug fahre oder mich mit anderen auf Tagungen treffe, sehe ich immer mehr Leute, die ihre eigenen Thermoskannen oder wiederbenutzbare Brotschachteln mitbringen. Offenbar hat sich hier in den letzten Jahren die Einstellung geändert. Statt die Brote in Alupapier zu packen oder den Kaffee aus Pappbechern zu trinken, setzen diese Leute lieber ihre eigenen Sachen ein. Sie tragen damit im Kleinen dazu bei, Ressourcen zu erhalten und die Grundlagen unseres Lebens zu bewahren. Viele kleine Tropfen auf dem heißen Stein sind es, die hier wirken.
Viele suchen danach, ihre eigene persönliche Nachhaltigkeitsstrategie zu entwickeln. Dies ist ein individuell gestaltetes Konzept, das darauf abzielt, unseren ökologischen Fußabdruck zu minimieren und einen positiven Einfluss auf Umwelt und die Gesellschaft auszuüben. Im Kern geht es darum, bewusste Entscheidungen zu treffen und Verhaltensweisen zu entwickeln, die planetarischen Ressourcen zu erhalten. Und zwar vollkommen aus der eigenen Einsicht heraus und freiwillig. Denn auch diese Erkenntnis hält die Wissenschaft bereit: Mit erhobenem Zeigefinger kommen wir nicht weiter. Belehrendes Auftreten anderer führt meistens zu Abwehrhaltung. Und auch folgendes scheint wichtig zu sein: wir sollten uns zwar ehrgeizige Ziele setzen, aber keine unrealistischen.
Ethik und Werte: Das Prinzip Verantwortung
Aber warum das alles? Warum sollten wir unsere Haltung überhaupt ändern? Philosophen haben seit Jahrhunderten darüber diskutiert, was den Menschen ausmacht und wie er sich von Tieren unterscheidet. Und da kommen ethische Fragen ins Spiel, die letztlich auch die Philosophie der praktischen Vernunft erreicht. Die Bedeutung eines ethischen Ansatzes bei der Verfolgung einer persönlichen Nachhaltigkeitsstrategie wollen wir bei wirk4tomorrow mehr als in den anderen Ratgeber-Artikeln herausstellen. Hans Jonas hat in seinem Buch „Das Prinzip Verantwortung“ herausgearbeitet, wie sehr wir uns auf ethische Grundlagen im technologischen Zeitalter verlassen müssen. Er untersucht ausdrücklich auch und umfassend die Gefahr, die vom Menschen für die Biosphäre ausgeht. Ethik und Werte dienen als Leitprinzipien, die unser Handeln lenken und sicherstellen, dass unsere Bemühungen im Einklang mit unseren moralischen Überzeugungen stehen.
Hinzu kommen auch Sinnfragen ins Spiel: Um unser Leben besser zu verstehen, suchen wir nach dem Sinn, also versuchen die Frage zu beantworten, was „das alles soll.“ Statt uns in alle möglichen Aktivitäten zu flüchten und dieser Frage auszuweichen, wollen wir selbst für Orientierung in unserem Leben suchen. Nun ja, jedenfalls manchmal.
Wir haben bei wirk4tomorrow lange über unsere eigenen Werte diskutiert und kommen zum Ergebnis, dass folgende Werte besonders wichtig sind:
Verantwortungsbewusstsein
Ein ethisches Vorgehen erfordert ein starkes Bewusstsein für die Auswirkungen unseres Handelns auf andere Menschen und unsere Umwelt Der bekannte Philosoph Hans Jonas untersucht diese detailliert in seinem Werk, welches vor 45 Jahren erschien. Es bedeutet, dass wir jeweils einzeln Verantwortung für unsere Handlungen übernehmen und sicherstellen, dass sie keine negativen Folgen haben.
Respekt
Ethik in der Nachhaltigkeit erfordert Respekt vor anderen und Respekt für die Rechte der anderen. Welche Bedürfnisse haben die anderen, und schränke ich diese mit meinem Verhalten ein? Respekt hängt also mit Wertschätzung und gar Ehrerbietung Anderer zusammen.
Gerechtigkeit
In einem portugiesischen Gebet heißt es: „Dai, Senhor, pão a quem tem fome e fome de justiça a quem tem pão!” – Herr, gib Brot denen, die Hunger haben, und Hunger nach Gerechtigkeit denen, die Brot haben.“ Eine persönliche Nachhaltigkeitsstrategie nimmt immer die Anerkennung der Bedürfnisse der anderen in den Blickpunkt. Sie beinhaltet deshalb das Streben nach Gerechtigkeit und Fairness. Und hier geht es auch um die zukünftige Generation.
Transparenz
Unsere Handlungen und Entscheidungen müssen nachvollziehbar sein. Ehrlichkeit gegenüber unseren Motiven und Praktiken sind wichtig. Wenn wir uns selber immer wieder in die Tasche lügen, dann wachsen wir als Persönlichkeit nicht – und Wachsen als Persönlichkeit ist an sich auch schon wert-voll.
Integrität
Eigene Ideale und Werte in die Lebenspraxis übertragen wird angesprochen, wenn wir integer handeln. Dieser Wert hängt mit Transparenz zusammen. Eine Person handelt dann integer, wenn sie zum Beispiel am Arbeitsplatz ehrlich ist und Probleme offen und gleichzeitig rücksichtsvoll angeht. Auch Erfolge anerkennen und gegen Gerüchte vorzugehen sind Beispiele integren Verhaltens. Jede Person findet bei einigem Nachdenken genug Möglichkeiten, es sich hier bewusst zu machen, wo Integrität besonders wichtig ist.
Elemente der persönlichen Nachhaltigkeitsstrategie
Im Internet purzeln einem die Tips, was zu einer persönlichen Nachhaltigkeitsstrategie wichtig ist, nur so entgegen. “Lokal einkaufen, weniger Autofahren, auf umweltfreundliche Körperpflege achten, fast fashion vermeiden”, heißt es da. Krasses Beispiel: Wenn wir zwar jeden Tag fliegen, obwohl wir es vermeiden könnten, aber nur lokale Lebensmittel kaufen und dass dann als erfolgreiche persönliche Nachhaltigkeitsstrategie verkaufen, dann ist etwas schiefgelaufen. Deshalb müssen wir uns vorher informieren. Wirk4tomorrow stellt daher persönliche Bildung und Neugier, seinen und ihren Kenntnisstand zu verbessern, als wichtigstes Element einer persönlichen Nachhaltigkeitsstrategie in den Vordergrund.
Bewusstsein und Bildung
Die Bereitschaft, sich über Umweltfragen und Nachhaltigkeitsthemen zu informieren und das Wissen darüber kontinuierlich zu erweitern ist der erste Schritt. Die Umsetzung kann sogar Spaß machen: Es gibt viele kurzweilig geschriebene Bücher zu den Themen, wir empfehlen da immer Maja Göpels „Wir können auch anders“, was ja alleine im Titel schon den Hinweis liefert, dass wir dazu fähig sind, unser Leben zu ändern. Oder, wer Comics mag, der französische Energie- und Klimaexperte Jean-Marc Jancovici hat zusammen mit dem Zeichner Christophe Blain das wunderbare „Welt ohne Ende“ verfasst, welches die Geschichte der Energiegewinnung und die Auswirkungen auf die Erde in den Mittelpunkt stellt.
wirk4tomorrow arbeitet in der Beratung mit vielen „serious games“ wie Klimapuzzle, digital collage Puzzle, Kreislaufwirtschaftspuzzle. Diese Spiele haben alle gemeinsam, dass wir mit anderen in einem Team ernsthafte Themen spielerisch und unterhaltsam angehen.
Nachhaltiger Konsum
Die Auswahl von Produkten und Dienstleistungen, die umweltverträglich hergestellt und unter fairen Bedingungen produziert werden, spielt für die meisten eine entscheidende Rolle, ob ihre Nachhaltigkeitsstrategie gelingt. Dies umfasst für die meisten einen Blick auf die angebotene Ware, bevor sie im Einkaufswagen landet. Dies kann den Kauf von lokal produzierten Waren, die Nutzung erneuerbarer Energien oder den Verzicht auf Einwegplastik umfassen. Oder elektronische Geräte so lange zu nutzen, wie ihre Lebensdauer ist.
Energie- und Ressourceneffizienz
Die Reduzierung des Energieverbrauchs und die effiziente Nutzung von Ressourcen wie etwa Wasser und Rohstoffe sind wesentliche Bestandteile einer nachhaltigen Lebensweise. Es gibt glücklicherweise mittlerweile ein großes Angebot von energieeffizienten Geräten für den persönlichen Gebrauch. Recyclingtonnen stehen in der Regel auch in jedem Haushalt. Der Phantasie sind da aber wenig Grenzen gesetzt. Die Nichte eines Freundes zum Beispiel hat zum Beispiel ihr Kreditkartenetui aus Hafermilchkartons gebastelt.
Finanzielle Entscheidungen
Die Auswahl von nachhaltigen Investitionen und die Unterstützung von Unternehmen, die soziale und ökologische Verantwortung übernehmen, können einen signifikanten Einfluss auf die Förderung einer nachhaltigen Wirtschaft haben. Die Macht der Gewohnheit drückt aber auch hier: Viel weniger Leute als gedacht wechseln ihr Konto bei einer Bank und gehen zu einer anderen aus Nachhaltigkeitsgründen. Die meisten tun es nach Umfragen des Statistischen Bundesamtes nur, wenn ihnen die Gebühren zu hoch erscheinen.
Miteinander gemeinsam: Mitwirkung in Parteien. NGOs, etc
Die Teilnahme an lokalen Gemeinschaftsprojekten, Umweltinitiativen oder politischen Aktivitäten kann dazu beitragen, positive Veränderungen auf lokaler Ebene zu bewirken. Salopp meint wirk4tomorrow: „Sei dein persönlicher Kipppunkt“, um die Teilnahme bei der nächsten Müllsammelaktion zu einem Erfolg zu machen. Hier würde es zur persönlichen Nachhaltigkeitsstrategie gehören, einen Teil seiner freien Zeit für Gemeinschaftsaktionen zu – ja, eben nicht zu opfern, sondern zu verwenden.
Fazit
Mit einem etwas esoterischen Fazit schließe ich hier: Seit Beginn der Menschheit hadert jede Generation damit, dass einzelne Personen am Gesamtverlauf doch kaum etwas ändern können. Ob ich in Saus und Braus lebe, ändert kein Jota am Schicksal der Welt. Also ist es doch eigentlich egal, wie ich mich verhalte. Aber es gibt eben immer wieder die Gegenbeispiele dazu: Individuen können doch etwas verändern. Zuallererst kann es mich selbst zufriedenstellen, wenn ich weiß, dass ich mit einer Nachhaltigkeitsstrategie einen geringeren ökologischen Fußabdruck hinterlasse. Ich kann daraus buchstäblich mein Glück ziehen, dass ich einen positiven Beitrag zur Bewahrung der Umwelt und zum Wohlergehen anderer beigetragen habe.